Modellgeschichte 203

Nach dem Krieg schien es, als würde Peugeot nur noch ein Modell der Mittelklasse anbieten. Das letzte Argument zugunsten dieser Entscheidung war, dass dieser Wagentyp genau den Produktionskapazitäten in Sochaux entsprach, die man damals nach der Überholung der Produktionsanlagen auf 300 Fahrzeuge pro Tag schätzte! 

Noch vor Anfang des Jahres 1945 wurde die Entscheidung getroffen, nunmehr nur noch ein Modell herzustellen und so entstand das Projekt 203. 

Obwohl das Konzept des Motors, teilweise nach den Studien des amerikanischen Ingenieurs Kettering entworfen und dank bleibender Verbindungen über die nahe Schweiz in Arbeit war, vergingen noch drei lange Jahre, bevor die Serienproduktion aufgenommen wurde. 

Der 203 wie im Vergleich zum 202, dessen direktes Nachfolgemodell er war, von Anfang an wesentliche Unterschiede auf. Er war das erste Modell in Schalenbauweise und hatte sogar auf diesem heiklen Gebiet sofort Erfolg, da bei der Fertigung keine Steifigkeitsprobleme auftraten. Die Viergangschaltung stellte ebenfalls einen Bruch mit der Vergangenheit dar. Mit Ausnahme des sehr kurzen 1. Gangs, der bis zur Einführung der Synchronisation im Jahre 1951 immer schwer einzulegen war, erwies es sich als sehr leistungsfähig und langlebig. Das gesamte Getriebesystem war sehr langlebig und der Schalthebel unter dem Lenkrad war eine Übernahme der amerikanischen Mode jener Zeit. 

Zwar war die querliegende halbelliptische Vorderradaufhängung nicht sehr originell, dafür stellten die Schraubenfedern der Hinterradaufhängung ebenso wie die Zahnstangenlenkung, die bis dahin für die Citroën-Vorderradaufhängung charakteristisch war, eine wesentliche Neuerung dar. Was den Motor betrifft, so versorgte ein Zylinderkopf die halbkugelförmigen Explosionskammern, die sich als sehr leistungsfähig erwiesen hatten, ebenso die nassen Zylinderbüchsen – in direktem Kontakt mit dem Kühlwasser -, was ebenfalls das Bestreben der Automobilhersteller unterstrich, modernste Technik einzusetzen. 

Doch liess der 203 auf den ersten Blick diesen eindeutigen revolutionären Charakter nicht erkennen wie beispielsweise der 4 CV von Renault oder Panhard Dyna. Das einfache Konzept wurde zur grossen Enttäuschung der erfahrenen Techniker von den Kunden nur mit verhaltener Begeisterung aufgenommen. Der Geschmach einiger Autofahrer hatte sich nach vier Jahren harter Entbehrung und Armut gewandelt, und so kam es, dass der Ford Vedette, der wie der 203 im Jahr 1948 auf den Markt kam, trotz seiner seitlich angeordneten Ventile und erstaunlichen Chromschwülsten zum Symbol für amerikanische Technik und Überfluss wurde...

Es war aber gerade der 203, der sich an der amerikanischen Ästhetik orientierte, wobei dieses Mal nicht wie beim 402 der Chrysler Airflow sondern der Lincoln Zephir als Vorbild diente. Dann kam es zu dieser "Affäre" um die zu hohe Übersetzung, wobei die Konkurrenten geschickt ihren Nutzen aus dem für so manchen überraschenden Effekt zogen. Es ging immer mehr das Gerücht um, dass der 203 im 4. Gang gefährlich sei, dass er keine Motorbremse habe und die Achsbrücke (Achsabstand zum Motor) zu lang sei, und dann wurde skurrilerweise noch gesagt, dass dies bei einer schneckengetriebenen Achse kein Wunder sei! Es gab sogar Autofahrer – und dies ist kein Witz -, die sich extra bückten und nachzusehen, ob die Achsbrücke tatsächlich so lang war, wie behauptet wurde...

Tatsache ist, dass der übersetzte vierte Gang im Vergleich zu anderen Autos wirklich langsamer auf Touren kam. Dadurch war die Motorbremse des 203 nicht sehr wirkungsvoll und das Anzugsvermögen bei mittlerer Geschwindigkeit ungewöhnlich schwach. Am Steuer eines 203 konnte man bis zu einer Geschwindigkeit von 100 km/h im dritten Gang fahren, aber, wenn man im vierten Gang bei einer Geschwindigkeit von 40 km/h auf das Gaspedal drückte, so war die Beschleunigung des kurzhubigen 1290 cm3 Motors (Zylinderbohrung breiter als der Hub) praktisch gleich Null. 

Mit anderen Worten, der 203 konnte nicht in der gleichen Weise gefahren werden wie ein Citroën mit Vorderradantrieb, es musste häuger umgeschaltet werden. Peugeot, in der Annahme, dass die Käufer dies selbst feststellen würden, hatte darüber hinaus ganz vergessen, auf die beiden Hauptvorteile hinzuweisen, nämlich leises Fahren und Schlichtheit. 

In bezug auf die Strassenlage legte der neue Peugeot ein ganz neues Verhalten an den Tag. Bis dahin gab es die Autos, die sich bei Kurvenfahrten nicht auf die Seite legten und auf Kosten eines mittelmässigen Komforts eine gute Strassenlage hatten, und solche, die sich in Kurven auf die Seite legten...und ausserdem nicht sehr komfortabel waren! Der 203 hatte mit seinen Michelin-Reifen vom Typ X 155X400 eine gerade Fahrspur und legte sich bei Kurvenfahrt bei Geschwindigkeit in die Kurve, hielt dabei aber die Spur, und dies ohne Abheben des Vorderteils bzw. des Hecks (bei allen anderen Autos). Eigentlich hätte es genügt, dem Auto zu vertrauen, aber anfangs wollte dies keiner so recht: die Citroën-Anhänger, weil er keine gute Kurvenlage hatte, und die der anderen, weil er überhaupt nicht schlitterte...

Glücklicherweise kam nach und nach das Vertrauen auf, und die Besitzer eines 203 stellten sehr schnell fest, dass sie, trotz mittelmässiger Qualität der meisten Komponenten, die in der Automobilindustrie verwendet wurden, im Verhältnis zu ihren Freunden und Bekannten, die anderen Automarken führen, viel weniger Pannen hatten. Hier kam nun der "Mattern-Effekt" zum Tragen: die Ein-Modell-Politik machte es möglich, bei ansonsten gleichbleibenden Bedingungen ein überdurchschnittliches Qualitätsniveau zu erzielen, was insbesondere das Ergebnis strikter und häufiger Endkontrollen war. 

Anfang der 50er Jahre schwankte die Lieferzeit des 203 zwischen 18 und 24 Monaten, und dies war eine goldene Zeit für eine bevorrechtigte Klientel wie Ärzte, Tierärzte, Handelsvertreter, usw., den sie erhielten alle 18 Monate spezielle Gutscheine. Auf diese Weise konnten sie ihr altes Auto mit so viel Gewinn verkaufen, dass der Kaufpreis des neuen Wagens einschliesslich der Inflationsrate gedeckt war und sie sogar noch eine zusätzliche Prämie einstecken konnten, die Glücklichen! 

Übrigens sollte der Begriff "Ein-Modell-Konzept" nicht zu wörtlich genommen werden. Ernest Mattern liess durchaus Varianten zu, sofern nur die vordere Wagenhälfte nicht verändert wurde. Auf diese Weise entstanden eine Cabriolimousine, ein Planen-Lieferwagen, bzw. Pick-up sowie ein Kombi-/Nutzfahrzeug und für all diejenigen, die das reine Fahrvergnügen suchten, ein sehr schönes Cabrio und ein Coupé. 

Spezialisten bemerkten in einem ganz anderen Bereich, dass der 203 in keinem Vergleich zu anderen Autos stand. Die 50er Jahre waren die Jahre, in denen Mechaniker, die Spezialisten im Frisieren von Serienwagen waren, ihrem –guten oder schlechten – Erfindergeist freien Lauf liessen. So schossen in allen Hinterhöfen von Autowerkstätten "Spezialserien" nur so aus dem Boden, und diejenigen, die sich als erste mit dem Motor des 203 befassten, stellten mit der Zeit fest, dass die Robustheit des 203 praktisch ungegrenzt war. Die talentierten Mechaniker sahen, dass der Serienmotor von 42 PS bei 4500 U/min. bei einer mehr oder weniger brutalen Kraftstoffversorgung über zwei Vergaser oder gar einen Verdrängungsverdichter, der übrigens durch Constantin berühmt wurde, und mit einer grösseren Zylinderbohrung bis auf 1500 cm3 eine Leistung von bis zu 90 PS und eine Drehzahl von bis zu 6000 U/min. erreichen konnte, sofern die Ventilfedern ausgetauscht würden. Kurz, der Motor und das Antriebssystem wie auch das Getriebe und die berühmte schneckenbetriebene Achse waren aussergewöhnlich robust und liessen dadurch Operationen zu, die bei keinem anderen Konkurrenzmodell möglich gewesen wären! 

Der Sohn des Vertragshändlers Paul Guiraud, der von seinen Freunden Paulo genannt wurde und stets ein Spässchen auf Lager hatte, lehrte am Steuer eines 203, der mehr als nur ein Spezialmodell war, bei jeder Rallye allen das Fürchten, und gewann in seiner Klasse mit ihm sogar das berühmte Mille Miglia. Auch Roger de Lageneste (Ehrenmitglied der Scuderia StellaLeone) holte sich 1957 in der 1300er Klasse vor Alfa Romeo an der Mille Miglia den Klassensieg mit seinem 203. 

Und als dann eine Gruppe von Autofans aus Grenoble die Kühnheit besass, ein Winterrennen auf einer mehr oder weniger zugeschneiten Strasse des Vercors zu organisieren, gewann Jacques Cottet am Steuer eines 203 mit einem Constantin-Verdichter das erste "Schnee- und Eisrennen" vor Jaguar, Porsche und Citroën!

Die Rechnung ging für Peugeot auf. Der 203 wurde schnell zu einem Verkaufsschlager und so wurden von 1948 bis 1960 rund 686,000 Stück produziert. Das Unternehmen kam wieder aus den roten Zahlen, in die es der Krieg gebracht hatte, und begann mit Zuversicht an der Entwicklung seiner nächsten grossen Erfolge. 

Quellen: 
- Peugeot – Fortschritt im Zeigen des Löwen von Nikolaus Reichert und 
   Michael Kirchberger, Südwest Verlag
- Peugeot die Löwenmarke von Andre Costa und Jean Claude Francolon, 
   Les editions Ronald Hirle
- Diverse Internetsites zum Thema Peugeot 203 und Mille Miglia

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